Areale, my

Silke Koch

Eröffnung: 16.10.21, 18 Uhr

16.10.21 bis 15.1.22

In der Ausstellung „Areale, my“ läßt die in Leipzig geborene Künstlerin Silke Koch zwei fotografische Werkgruppen aufeinandertreffen, die im Abstand von 25 Jahren im Raum Leipzig entstanden sind.

Die erste Serie entstammt dem Archiv von 1994/95.
Sie zeigt eine heranwachsende Generation, wie sie sich inmitten politischer Wirren und gesellschaftlicher Veränderungen spielerisch öffentliche Freiräume und Statussymbole aneignet. Bildnerisch unterbrochen wird die Auswahl von Gebäudefassaden, die ihrer gesellschaftlichen Bestimmung nach von einer ‚modernen Gesellschaft und Zukunft künden‘. Die Anordnung beider Bildteile befragt exemplarisch eine damalige gesellschaftliche Utopie.

Die zweite Serie (Auswahl) begonnen 2021, befragt wiederum Leipzigs öffentlichen Raum zur gewandelten gesellschaftlichen Vision im Heute und seiner Eignung zu gesellschaftlich-kultureller Identitätsstiftung.
“Areale, my“ verbindet Beobachtungen des im stetigen Wandel befindlichen öffentlichen Raumes hier in der Zeitspanne zweier unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme, und stellt die Frage nach deren jeweiligem Repräsentations- und Identifikationspotential.

September 2021

AREALE, MY

… widmet sich den Arealen, in denen ich mich bewegt habe, in die ich als Kind hineingewachsen bin und die sich dann verändert haben – und dem Identifikationsprozess zum Annehmen und Ablehnen der Areale während dieser Entwicklung. (Silke Koch)

Die im Kunstraum Neu Deli zu sehende Ausstellung der Fotografin und Medienkünstlerin Silke Koch (* 1964) zeigt zwei ihrer Werkserien, die im Abstand eines Vierteljahrhunderts in der Umgebung von Leipzig entstanden sind, ihrem Geburtsort: eine Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Archivarbeit und ein starkes Statement zu den sich stets wandelnden Perspektiven auf städtisches Selbstverständnis.

In der älteren Serie sind noch nie gezeigte Archivaufnahmen der Künstlerin aus den Jahren 1994/95 zu sehen: In diesen gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien tobt eine junge, heranwachsende Generation unbeschwert und spielerisch inmitten sozio-politischer Umwälzungen. Bildnerisch unterbrochen wird die Auswahl von DDR-Gebäudefassaden, die ihrer Bestimmung nach von einer „modernen Gesellschaft und Zukunft“ künden. Die Künstlerin ist nach ihrem Abitur in Westdeutschland für ihr Kunststudium wieder nach Leipzig gezogen. Im Zurückkehren an den Ort der eigenen Sozialisierung suchte sie zum einen nach dem Vertrauten, zum anderen nach der Veränderung darin. Das Areal, wo die Kinder auf den Autos herumspringen, ist das gleiche, in dem sie früher selbst als Kind spielte: riesengroße Flächen, hinter denen sich ein Truppenübungsplatz der NVA in Leipzig-Möckern befand.
Die zweite Werkserie nimmt 2021 ihren Anfang und erforscht aus heutiger Sicht die Stadt nach Situationen, die sinnbildliche Antworten auf die früheren Zukunftsträume liefern. Bei den jüngeren Arbeiten sind es unmittelbare Orte und damit verbundene neue Formen von Gesellschaftsentwürfen. Sie werden als ungerahmte Farbabzüge den gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien gegenübergestellt und lassen das Gegenwärtige offen.

Die Fotoausstellung AREALE, MY setzt atmosphärische Beobachtungen eines sich stets im Wandel befindlichen öffentlichen Raums einander gegenüber und gelangt in dieser zeitlichen Versetzung zu einer universellen Bildsprache, die den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und Zeitepochen einer Stadt auf die Spur geht.

Silke Koch spürt die Veränderungen innerhalb städtischer Strukturen auf und entwickelt eine eigene Kartografie der Erinnerung. Nicht nur der persönliche, auch der urbanistische Identifikationsprozess schlägt viele Richtungen ein. In der Ausstellung AREALE, MY bilden sich kulturgeschichtliche, verbindende und trennende Attribute in ihrer Vielstimmigkeit ab: Es werden die leisen Veränderungen, das weite Spektrum der Pluralitäten von Kulturwandel aufgrund der sich ändernden Sichtweisen der Künstlerin plötzlich bildhaft. Das Singuläre und Eigene ist in einem deutlich wahrnehmbaren Wandel begriffen.

So geht die Künstlerin der Ambiguitätstoleranz beider Werkzyklen nach, auf der Suche nach Utopien und Wirklichkeitsreflexion. In den Schwarz-Weiß-Aufnahmen springen Kinder auf den alten Statussymbolen herum. Demgegenüber erzählen die DDR-Architekturen von der Vision einer modernen Gesellschaft in einer frohen Zukunft. Die Diskrepanz zwischen Aufbruchsenergie im Hinblick auf die erwarteten „blühenden Landschaften“ inmitten der 1994/95 herrschenden Lebensrealität von bröckelnden Fassaden sowie einem Leben mit Kohleofen und Außentoilette trifft in der zweiten Werkserie auf eine Gegenwart, die in den Archivaufnahmen noch in weiter Zukunft lag.

Mit den teils dunklen Rahmen der schwarz-weißen Fotoserie zentriert sich die Energie und überträgt sich gleichsam auf die gesamte Ausstellung. Indem man festgehalten sieht, wie die Kinder immer wieder hochlaufen und herunterspringen, bleibt etwas Tragendes, was eher einem Film als einem Einzelbild gleichkommt. Darin liegt die geradezu cineastische Qualität der Ausstellung: die Gegenüberstellung von Schwarz-Weiß und Farbe, von gerahmt/kompakt und ungerahmt/großformatig. Von Personengruppen und Stadtansichten, von emotionaler Energie und nüchterner Sachlichkeit. All dies besitzt eine große Spannung, eine ausgefeilte Dramaturgie und zahlreiche Cliffhanger – und fügt sich bei allen Betrachter*innen zu einem individuellen Gesamtbild zusammen.

Am öffentlichen Raum lässt sich die Repräsentation von Gesellschaft treffend untersuchen. Die Künstlerin teilt mit uns als Stellvertreterin einer ganzen Generation ihre Erfahrungen; sie beobachtet in ihrer Arbeit aber nicht nur die eigene Biografie, sondern die Biografien vieler. Dabei bekommt auf visueller Ebene der motivstiftende DDR-Kontext durch die gewählte Gegenüberstellung von Eroberung (die Kinder) und Bebauung des öffentlichen Raums (die architektonischen DDR-Fassaden) eine globale Sprache.

Text: Wayra Schübel
Lektorat: Tina Wessel

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Silke Koch

Areale, my

Silke Koch

Eröffnung: 16.10.21, 18 Uhr

16.10.21 bis 15.1.22

In der Ausstellung „Areale, my“ läßt die in Leipzig geborene Künstlerin Silke Koch zwei fotografische Werkgruppen aufeinandertreffen, die im Abstand von 25 Jahren im Raum Leipzig entstanden sind.

Die erste Serie entstammt dem Archiv von 1994/95.
Sie zeigt eine heranwachsende Generation, wie sie sich inmitten politischer Wirren und gesellschaftlicher Veränderungen spielerisch öffentliche Freiräume und Statussymbole aneignet. Bildnerisch unterbrochen wird die Auswahl von Gebäudefassaden, die ihrer gesellschaftlichen Bestimmung nach von einer ‚modernen Gesellschaft und Zukunft künden‘. Die Anordnung beider Bildteile befragt exemplarisch eine damalige gesellschaftliche Utopie.

Die zweite Serie (Auswahl) begonnen 2021, befragt wiederum Leipzigs öffentlichen Raum zur gewandelten gesellschaftlichen Vision im Heute und seiner Eignung zu gesellschaftlich-kultureller Identitätsstiftung.
“Areale, my“ verbindet Beobachtungen des im stetigen Wandel befindlichen öffentlichen Raumes hier in der Zeitspanne zweier unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme, und stellt die Frage nach deren jeweiligem Repräsentations- und Identifikationspotential.

September 2021

AREALE, MY

… widmet sich den Arealen, in denen ich mich bewegt habe, in die ich als Kind hineingewachsen bin und die sich dann verändert haben – und dem Identifikationsprozess zum Annehmen und Ablehnen der Areale während dieser Entwicklung. (Silke Koch)

Die im Kunstraum Neu Deli zu sehende Ausstellung der Fotografin und Medienkünstlerin Silke Koch (* 1964) zeigt zwei ihrer Werkserien, die im Abstand eines Vierteljahrhunderts in der Umgebung von Leipzig entstanden sind, ihrem Geburtsort: eine Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Archivarbeit und ein starkes Statement zu den sich stets wandelnden Perspektiven auf städtisches Selbstverständnis.

In der älteren Serie sind noch nie gezeigte Archivaufnahmen der Künstlerin aus den Jahren 1994/95 zu sehen: In diesen gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien tobt eine junge, heranwachsende Generation unbeschwert und spielerisch inmitten sozio-politischer Umwälzungen. Bildnerisch unterbrochen wird die Auswahl von DDR-Gebäudefassaden, die ihrer Bestimmung nach von einer „modernen Gesellschaft und Zukunft“ künden. Die Künstlerin ist nach ihrem Abitur in Westdeutschland für ihr Kunststudium wieder nach Leipzig gezogen. Im Zurückkehren an den Ort der eigenen Sozialisierung suchte sie zum einen nach dem Vertrauten, zum anderen nach der Veränderung darin. Das Areal, wo die Kinder auf den Autos herumspringen, ist das gleiche, in dem sie früher selbst als Kind spielte: riesengroße Flächen, hinter denen sich ein Truppenübungsplatz der NVA in Leipzig-Möckern befand.
Die zweite Werkserie nimmt 2021 ihren Anfang und erforscht aus heutiger Sicht die Stadt nach Situationen, die sinnbildliche Antworten auf die früheren Zukunftsträume liefern. Bei den jüngeren Arbeiten sind es unmittelbare Orte und damit verbundene neue Formen von Gesellschaftsentwürfen. Sie werden als ungerahmte Farbabzüge den gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien gegenübergestellt und lassen das Gegenwärtige offen.

Die Fotoausstellung AREALE, MY setzt atmosphärische Beobachtungen eines sich stets im Wandel befindlichen öffentlichen Raums einander gegenüber und gelangt in dieser zeitlichen Versetzung zu einer universellen Bildsprache, die den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und Zeitepochen einer Stadt auf die Spur geht.

Silke Koch spürt die Veränderungen innerhalb städtischer Strukturen auf und entwickelt eine eigene Kartografie der Erinnerung. Nicht nur der persönliche, auch der urbanistische Identifikationsprozess schlägt viele Richtungen ein. In der Ausstellung AREALE, MY bilden sich kulturgeschichtliche, verbindende und trennende Attribute in ihrer Vielstimmigkeit ab: Es werden die leisen Veränderungen, das weite Spektrum der Pluralitäten von Kulturwandel aufgrund der sich ändernden Sichtweisen der Künstlerin plötzlich bildhaft. Das Singuläre und Eigene ist in einem deutlich wahrnehmbaren Wandel begriffen.

So geht die Künstlerin der Ambiguitätstoleranz beider Werkzyklen nach, auf der Suche nach Utopien und Wirklichkeitsreflexion. In den Schwarz-Weiß-Aufnahmen springen Kinder auf den alten Statussymbolen herum. Demgegenüber erzählen die DDR-Architekturen von der Vision einer modernen Gesellschaft in einer frohen Zukunft. Die Diskrepanz zwischen Aufbruchsenergie im Hinblick auf die erwarteten „blühenden Landschaften“ inmitten der 1994/95 herrschenden Lebensrealität von bröckelnden Fassaden sowie einem Leben mit Kohleofen und Außentoilette trifft in der zweiten Werkserie auf eine Gegenwart, die in den Archivaufnahmen noch in weiter Zukunft lag.

Mit den teils dunklen Rahmen der schwarz-weißen Fotoserie zentriert sich die Energie und überträgt sich gleichsam auf die gesamte Ausstellung. Indem man festgehalten sieht, wie die Kinder immer wieder hochlaufen und herunterspringen, bleibt etwas Tragendes, was eher einem Film als einem Einzelbild gleichkommt. Darin liegt die geradezu cineastische Qualität der Ausstellung: die Gegenüberstellung von Schwarz-Weiß und Farbe, von gerahmt/kompakt und ungerahmt/großformatig. Von Personengruppen und Stadtansichten, von emotionaler Energie und nüchterner Sachlichkeit. All dies besitzt eine große Spannung, eine ausgefeilte Dramaturgie und zahlreiche Cliffhanger – und fügt sich bei allen Betrachter*innen zu einem individuellen Gesamtbild zusammen.

Am öffentlichen Raum lässt sich die Repräsentation von Gesellschaft treffend untersuchen. Die Künstlerin teilt mit uns als Stellvertreterin einer ganzen Generation ihre Erfahrungen; sie beobachtet in ihrer Arbeit aber nicht nur die eigene Biografie, sondern die Biografien vieler. Dabei bekommt auf visueller Ebene der motivstiftende DDR-Kontext durch die gewählte Gegenüberstellung von Eroberung (die Kinder) und Bebauung des öffentlichen Raums (die architektonischen DDR-Fassaden) eine globale Sprache.

Text: Wayra Schübel
Lektorat: Tina Wessel

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