NO JUSTICE, NO PEACE
Carsten Busse
Eröffnung: 1. Juli, ab 19 Uhr
01.07. bis 19.8.2023
Finissage: 19.08.23, ab 16 Uhr
NO JUSTICE, NO PEACE
oder
Verzweifelte Versuche, einen perfekten Kreis zu zeichnen
In meinem Leben habe ich an vielen Demonstrationen teilgenommen. Es begann natürlich als Kind bei den Pflicht-Demonstrationen zum 1. Mai, deren anfängliche Faszination bald schon in Desinteresse und Ablehnung umschlug. Später folgten die Demonstrationen des Jahres 1989, zunächst ein ergreifendes Erlebnis mit der trügerischen Wahrnehmung, dass es möglich ist, die Welt zu verändern, nahtlos übergehend in das Erschauern vor der Dumpfheit fanatisierter Massen.
Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit war eine der Hauptforderungen der sogenannten friedlichen Revolution. Dieses Ziel wurde erstaunlich schnell erreicht. Im Ergebnis kann nun jeder Mensch frei seine Meinung kundtun, – warum auch nicht? Das Aufatmen über die errungenen Freiheiten ging schnell mit der Erkenntnis einher, dass bestimmte Grundrechte ein ideales Ventil für die Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Verwerfungen sind.
Die Verantwortlichen, durch freie Wahlen in ihre Positionen gekommen, können Proteste jeder Art komplett ignorieren, und das tun sie in der Regel auch. Im besten Fall werten sie Demonstrationen als Stimmungsbild, das eventuell ihre Wiederwahl gefährden könnte.
Nach der Vereinigung der deutschen Staaten gab es jede Menge Gelegenheiten auf die Straße zu gehen, die Gründe waren ganz unterschiedliche und wir alle kennen sie. Alle Demonstrationen, die ich erlebt habe, begannen friedlich, viele blieben es, manche eskalierten, nicht selten durch das Auftreten der Polizei. Bewirkt haben sie in der Regel nichts. Die Ignoranz der Herrschenden, die Fixierung der Medien auf spektakuläre Bilder (ein brennender Bengalo ist sehr fotogen und macht aus der friedlichsten Demo ein Bürgerkriegsszenario), die Brutalität von Polizeieinsätzen hat dazu geführt, dass sich ein Teil der Demonstrierenden zunehmend radikalisiert und sich die Spaltung der Gesellschaft noch intensiviert.
Seit langer Zeit staune ich darüber, dass Diktaturen beharrlich an Demonstrationsverboten festhalten. Hat doch die Erfahrung gezeigt, dass gerade diese Verbote den Unmut der Bevölkerung eher schüren als verhindern. Nach einer erlaubten Demonstration kehrt für eine Weile erst einmal wieder Ruhe ein. Die Unzufriedenen haben ihr Anliegen geäußert, ihrer Wut Ausdruck gegeben, vielleicht wird in Talkshows das Thema des Protests behandelt, das war es aber in der Regel auch schon. Mir fällt tatsächlich keine einzige auf Demonstrationen formulierte Forderung ein, die in den letzten dreißig Jahren von der Politik in befriedigender Weise erfüllt worden wäre. Oft habe ich Eindruck, dass die Gewalt, die die Medien gerne schon vorher herbeireden (und die dann meist auch wirklich zu sehen ist), eher denen nützt, gegen die sich der Protest richtet. Die Rolle der Polizei an den Eskalationen ist dabei noch mal ein Thema für sich.
Dies hat dazu geführt, dass ich selbst kaum noch an Demos teilnehme. Und ich weiß, dass es vielen Menschen meiner Generation so geht. Ich war und bin ein politisch denkender Mensch. Auch in meiner Kunst hat sich das oft widergespiegelt, ich erinnere an die Aktionen mit der Künstlergruppe solitaire factory. Aber bin ich noch ein politisch handelnder Mensch? Na klar, es gibt viele Möglichkeiten, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Für mich ist die Kultur das Feld, das ich immer noch bearbeite, auch wenn ich mir dabei oft nicht wie ein Bauer vorkomme, der mit seinem Pflug den Acker aufwühlt, sondern eher wie Spitzwegs Kakteenfreund.
Die ersten Blätter der Serie „NO JUSTICE, NO PEACE“ entstanden während der Unruhen nach dem Tod von George Floyd in den USA. Es ist nicht zu leugnen: es waren die Riots, die die Themen Rassismus und Polizeiwillkür in den USA wieder massiv in die Öffentlichkeit gebracht haben. In der Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung der Unruhen fällt schnell auf, dass sich die Bilder weltweit gleichen, völlig unabhängig von den Zielen der Demonstrationen. Der Slogan „no justice, no peace“ wurde erstmals 1986 verwendet, als Reaktion auf die Ermordung von Michael Griffith durch einen Mob weißer Jugendlicher in den USA. Er beschreibt bis heute genau, worum es immer geht: Eine Gesellschaft, die sich auf Ungerechtigkeit(en) gründet, wird keinen Frieden finden können.
Die hier gezeigten Papierschnitte basieren dementsprechend auf medialen Bildern von Demonstrationen mit durchaus unterschiedlichen Anlässen.
Was haben die misslungenen Kreise damit zu tun? Eine ganze Menge, doch darüber muss man nichts schreiben.
Carsten Busse, 2023
NO JUSTICE, NO PEACE
Carsten Busse
Eröffnung: 1. Juli, ab 19 Uhr
01.07. bis 19.8.2023
Finissage: 19.08.23, ab 16 Uhr
NO JUSTICE, NO PEACE
oder
Verzweifelte Versuche, einen perfekten Kreis zu zeichnen
In meinem Leben habe ich an vielen Demonstrationen teilgenommen. Es begann natürlich als Kind bei den Pflicht-Demonstrationen zum 1. Mai, deren anfängliche Faszination bald schon in Desinteresse und Ablehnung umschlug. Später folgten die Demonstrationen des Jahres 1989, zunächst ein ergreifendes Erlebnis mit der trügerischen Wahrnehmung, dass es möglich ist, die Welt zu verändern, nahtlos übergehend in das Erschauern vor der Dumpfheit fanatisierter Massen.
Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit war eine der Hauptforderungen der sogenannten friedlichen Revolution. Dieses Ziel wurde erstaunlich schnell erreicht. Im Ergebnis kann nun jeder Mensch frei seine Meinung kundtun, – warum auch nicht? Das Aufatmen über die errungenen Freiheiten ging schnell mit der Erkenntnis einher, dass bestimmte Grundrechte ein ideales Ventil für die Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Verwerfungen sind.
Die Verantwortlichen, durch freie Wahlen in ihre Positionen gekommen, können Proteste jeder Art komplett ignorieren, und das tun sie in der Regel auch. Im besten Fall werten sie Demonstrationen als Stimmungsbild, das eventuell ihre Wiederwahl gefährden könnte.
Nach der Vereinigung der deutschen Staaten gab es jede Menge Gelegenheiten auf die Straße zu gehen, die Gründe waren ganz unterschiedliche und wir alle kennen sie. Alle Demonstrationen, die ich erlebt habe, begannen friedlich, viele blieben es, manche eskalierten, nicht selten durch das Auftreten der Polizei. Bewirkt haben sie in der Regel nichts. Die Ignoranz der Herrschenden, die Fixierung der Medien auf spektakuläre Bilder (ein brennender Bengalo ist sehr fotogen und macht aus der friedlichsten Demo ein Bürgerkriegsszenario), die Brutalität von Polizeieinsätzen hat dazu geführt, dass sich ein Teil der Demonstrierenden zunehmend radikalisiert und sich die Spaltung der Gesellschaft noch intensiviert.
Seit langer Zeit staune ich darüber, dass Diktaturen beharrlich an Demonstrationsverboten festhalten. Hat doch die Erfahrung gezeigt, dass gerade diese Verbote den Unmut der Bevölkerung eher schüren als verhindern. Nach einer erlaubten Demonstration kehrt für eine Weile erst einmal wieder Ruhe ein. Die Unzufriedenen haben ihr Anliegen geäußert, ihrer Wut Ausdruck gegeben, vielleicht wird in Talkshows das Thema des Protests behandelt, das war es aber in der Regel auch schon. Mir fällt tatsächlich keine einzige auf Demonstrationen formulierte Forderung ein, die in den letzten dreißig Jahren von der Politik in befriedigender Weise erfüllt worden wäre. Oft habe ich Eindruck, dass die Gewalt, die die Medien gerne schon vorher herbeireden (und die dann meist auch wirklich zu sehen ist), eher denen nützt, gegen die sich der Protest richtet. Die Rolle der Polizei an den Eskalationen ist dabei noch mal ein Thema für sich.
Dies hat dazu geführt, dass ich selbst kaum noch an Demos teilnehme. Und ich weiß, dass es vielen Menschen meiner Generation so geht. Ich war und bin ein politisch denkender Mensch. Auch in meiner Kunst hat sich das oft widergespiegelt, ich erinnere an die Aktionen mit der Künstlergruppe solitaire factory. Aber bin ich noch ein politisch handelnder Mensch? Na klar, es gibt viele Möglichkeiten, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Für mich ist die Kultur das Feld, das ich immer noch bearbeite, auch wenn ich mir dabei oft nicht wie ein Bauer vorkomme, der mit seinem Pflug den Acker aufwühlt, sondern eher wie Spitzwegs Kakteenfreund.
Die ersten Blätter der Serie „NO JUSTICE, NO PEACE“ entstanden während der Unruhen nach dem Tod von George Floyd in den USA. Es ist nicht zu leugnen: es waren die Riots, die die Themen Rassismus und Polizeiwillkür in den USA wieder massiv in die Öffentlichkeit gebracht haben. In der Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung der Unruhen fällt schnell auf, dass sich die Bilder weltweit gleichen, völlig unabhängig von den Zielen der Demonstrationen. Der Slogan „no justice, no peace“ wurde erstmals 1986 verwendet, als Reaktion auf die Ermordung von Michael Griffith durch einen Mob weißer Jugendlicher in den USA. Er beschreibt bis heute genau, worum es immer geht: Eine Gesellschaft, die sich auf Ungerechtigkeit(en) gründet, wird keinen Frieden finden können.
Die hier gezeigten Papierschnitte basieren dementsprechend auf medialen Bildern von Demonstrationen mit durchaus unterschiedlichen Anlässen.
Was haben die misslungenen Kreise damit zu tun? Eine ganze Menge, doch darüber muss man nichts schreiben.
Carsten Busse, 2023
Gefördert vom Kulturamt Leipzig